„Tiere essen“ – der Titel des Buches von Jonathan Safran Foer sagt eigentlich schon alles und, vor der Lektüre, auch noch gar nichts aus: „Na und?“, mag man schulterzuckend denken und in ein saftiges Steak beißen. Wer sich mit dem Autor jedoch auf seine Reise durch die Fleischindustrie wagt, fragt genauso wenig „Na und?“ wie er danach mit Freuden in sein saftiges Steak beißen mag. Denn weiß er, wie es auf seinen Teller gekommen ist? Hier erfährt er es.
Genau dieser Frage, die ihn seit der Geburt seines Sohnes nicht mehr losgelassen hat, geht Foer beeindruckend gewissenhaft nach: Was wissen wir über unser Essen? Und welche Konsequenzen hat es,
wenn wir mehr darüber erfahren? Mit der Neugier des Journalisten macht sich Foer auf die Suche nach Menschen, die ihm diese Fragen beantworten können. Schnell wird klar, wohin die Reise geht,
ohne allerdings den direkten, plakativen Weg zu wählen.
Denn bevor Foer auf seinen Seiten zwangsweise Blut fließen lässt, ist es für ihn wichtiger, ein paar Fragen zu stellen: Hat ein Tier eine Seele? Was fühlt es? Was spürt es? Welchen Stellenwert verleihen wir ihm? Und vor allem: Hat es jene Würde, die der Mensch bei sich für unantastbar hält? Gibt es gar Unterschiede: Tier und essbares Tier? Nicht nur an dieser Stelle beraubt Foer den Leser mit bemerkenswert feinem Sarkasmus jeglicher Illusion – und druckt ein philippinisches Rezept ab: Geschmorter Hund nach Hochzeitsart…
Bei diesem Thema ist nichts so zynisch wie die Realität. Stil und Aufbau des Buches stellen dabei jedoch alles andere als eine wohlfeile Polemik dar und erinnern stark an die Methodik des amerikanischen Regisseurs und Autors Michael Moore, ja könnten glatt als Drehbuch-Vorlage für eine seiner nächsten Reportagen dienen. Dass Foer seine Nachforschungen in den USA betrieben hat, sollte einen Europäer übrigens nicht in Sicherheit wiegen.
Mit dem wachen und daher schonungslosen Blick hinter die Kulissen scheint Foer an den Titel seines 2007 erschienenen Romans anzuknüpfen: „Extrem laut und unglaublich nah“. Um einer in seinen Augen notwendigen Veränderung das Wort zu reden, arbeitet der Autor mit im wahrsten Wortsinn knallharten Fakten: Er hat Mastbetriebe besucht, legal und illegal; er hat sich ausführlich mit Menschen unterhalten, die unmittelbar mit der Materie zu tun haben, sei es als Farmer, Mitarbeiter eines Schlachthofes oder Gegner der Massentierhaltung.
„Tiere essen“ ist letztendlich ein Buch, das den Vegetarismus propagiert – und zwar nicht aus gesundheitlichen Gründen. Motivation sind nicht ästhetische, sondern ethische Einsichten. Diese, auch Foers Lebenseinstellung ist für ihn allerdings keine rhetorische Glaubensfrage. Er verdammt keinen, der anders isst [sic!]. Aber er hakt nach. Dass dabei lokale, regionale und globale sowie gesundheitliche und gesellschaftliche Folgen von intensiver Tierhaltung und Fischfang aufgezeigt werden, ohne die heute so gut wie kein entsprechendes Produkt mehr auf den Tisch kommt, verdeutlicht die Wichtigkeit dieser Fragen.
Dabei will der Autor nicht missionieren, sondern gewinnen, nicht erziehen, sondern Bewusstsein erzeugen: Wie viel ist Dir das Fleisch wert? Wärest Du bereit, ein Vielfaches für Dein Steak zu zahlen, wenn es dafür kein Produkt aus Massentierhaltung ist und vor seinem unnatürlichen Tod wenigstens ein natürliches Leben hatte? Foers Buch gibt die Antworten, zwingt jedoch keinen zur direkten Adaption. Der Autor hat lange für „Tiere essen“ recherchiert. Und da eine mögliche Konsequenz dieses Buches grundlegende Veränderungen im Leben dessen, der sie für sich zieht, bedeuten, fordert Foer nicht unbedingt eine Entscheidung „hic et nunc“. Das schlimmste ist für ihn expressis verbis, wenn sein Anstoßen ohne jegliche Folgen bliebe, denn: „Wir können uns nicht mit Unwissenheit herausreden, nur mit Gleichgültigkeit.“
„Tiere essen“ ist ohne Zweifel ein wichtiges Buch. Als Rezensent, den es nicht nur fachlich überzeugt, sondern der selbst schon vor seiner Lektüre den in Foers Augen nötigen Schritt hin zu einer konsequent vegetarischen Lebensweise gewagt hat, fällt es natürlich leicht, eben dies letztendlich als Konsequenz zu propagieren. Eines zumindest steht fest: Wer „Tiere essen“ aufmerksam liest und seine Einstellung zum Steak auf seinem Teller nicht ändert, klirrt entweder vor Gefühlskälte oder ist ein fast schon wieder bemerkenswert zäher Ignorant. Welches dieser Etiketten möchte man sich wohl anheften?
Jan-Geert Wolff ist Journalist sowie Autor und Redakteur des Journals schreibwolff.de. Hier berichtet er stets aktuell vor allem über das Kulturgeschehen der Rhein-Main-Region in den Bereichen Musik und Kleinkunst sowie weitere interessante Themen. Als überzeugter Vegetarier und begnadeter Koch überrascht er seine Freunde immer wieder mit den schönsten Kreationen aus seiner Küche.