Gastartikel von Felicitas Knaupp – Autorin und Liedermacherin
Wenn ich vor Sonnenaufgang auf den Balkon trete, dann höre ich den Gesang der Vögel. Erst danach fällt mir der Verkehrslärm auf. Das stetige sonore Brummen und Rauschen der Motoren in der Ferne, Schleifen und Sausen der Räder auf der Straße, das Quietschen der Züge, die auf Gleisen bremsen, das Heulen eines startenden Flugzeugs. Ich mag diese Geräusche nicht, will meine Ohren vor ihnen verschließen. Anstatt aber meine Sinne ‘auszuschalten’, bemühe ich mich, wieder die Vögel zu hören, ihr Trällern und Pfeifen, ihre frohen Melodien.
«Die ganze Natur ist eine Melodie, in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.»
Johann Wolfgang von Goethe
Die Geräusche von Verkehr, von Maschinen und Technik strengen mich an. Die Geräusche der Natur bringen mir Erholung, Seelenfrieden, Ausgeglichenheit.
Wenn die Baustelle nebenan zu laut wird oder ich nervlich angespannt bin während ich am Computer arbeite, dann schalte ich mir manchmal Naturgeräusche auf Youtube ein: Wellen, Regen, Gewitter, Vögel. Das ist sicher kein Ersatz für die Natur, aber ein Notbehelf. Und es funktioniert zu einem gewissen Grad: Ich werde ausgeglichener, meine Nerven kommen zur Ruhe, meine Sinne öffnen sich wieder.
Wie das obige Zitat zeigt, war für Goethe die ganze Natur eine Melodie tiefster Harmonie. Und was harmonisch ist, wirkt heilsam. Dass viele Menschen heutzutage die Natur als heilsam erleben, zeigt auch die wachsende Beliebtheit des Waldbadens, auf Japanisch Shinrin Yoku. In der Einfachheit, der Echtheit des Waldes atmen unsere Sinne auf, öffnen sich weit. Unser sonst immer beschäftigtes Gehirn, die nimmermüden Gedanken, kommen zur Ruhe. Ich würde meinen, auch unsere Muskeln entspannen sich dann, unsere Bewegungen entschleunigen sich, wir dürfen einmal wieder wandeln, schreiten. Wohingegen wir im Lärm der Stadt oft unsere Sinne verschließen, aufs Handy starren, hastig gehen, um die Reizüberflutung zu dämpfen.
Die Natur bietet uns auch eine Art Geborgenheit, die Gewissheit, eingebettet zu sein in das große Ganze. In dem kürzlich erschienen Film Nomadland angesprochen, dass man in der Natur eine Hilfe finden kann, um zu trauern, und mit Verlust und Schmerz auf eine bewusste Art umzugehen.
In der Harmonie der Natur finden wir Ruhe, Kraft, Heilung. Wir müssen uns nur manchmal wieder ganz bewusst daran erinnern, weil wir es vergessen, vielleicht sogar zum Teil verlernt haben, ihre Melodie zu hören und mit ihr zu singen.
Ich staune immer wieder, wie lebensfroh das Singen der Vögel klingt und für mich damit auch etwas Dankbares in sich trägt. Dankbar für ihr Dasein, und zwar egal, ob die Sonne scheint oder ob es regnet, ob es kalt ist oder heiß.
Die Vögel trällern, der Wind pfeift, die Blätter rascheln, die Bienen summen, das Bächlein gluggert. All diese Stimmen sind wie Instrumente eines großen Orchesters, wie die Sänger eines Chors. Ein Ton allein bringt keine Harmonie hervor. Es braucht den Akkord miteinander schwingender Töne. In der Natur ist so viel Lebendigkeit, so viel Schönheit, so viel Freude. Und all das zusammen bildet die Harmonie des Liedes der Natur, von dem Goethe spricht.
Wie wäre es, wenn wir diese Melodie wieder erlauschen lernen? Wenn wir sie in uns lebendig werden lassen, sie mitsingen, mitschwingen, mittanzen. Wenn wir sie in unseren Alltag nehmen, in unsere Familien, Beziehungen, in unsere Arbeit einfließen lassen.
Dann kämen wir sicher dem mächtigen Zauberwort, von dem Joseph von Eichendorff in seinem bekannten Gedicht spricht:
ein großes Stück näher.
Die Idee zu ihrem Kinderbuch-Musical Das Geheimnis des Zauberwortes entstand durch das oben erwähnte Gedicht von Joseph v. Eichendorff. Das Musical führt die kleinen und großen Leser und Zuhörer durch die Jahreszeiten, auf der Suche nach dem Zauberwort, das die Welt zum Singen bringt.
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