Vitamin D-Mangel - aber ich bin doch oft draußen

Dr. Raimund von Helden
Dr. Raimund von Helden

Vitamin D-Mangel? Aber ich bin doch oft draußen. Oder soll ich da jetzt mehr Obst essen? Die „klassischen“ Antworten vieler Menschen zeigen auf, dass hier noch viel  Unwissenheit über die Zusammenhänge unseres „Sonnen-Vitamins“ herrscht.

 

Gastbeitrag von
Dr. Raimund von Helden

Dr. med. Raimund von Helden ist praktizierender Landarzt in Lennestadt im Sauerland. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Buchautor ("Gesund in 7 Tagen") und Gründer des Projektes VitaminDelta.de


Warum haben so viele Menschen zu wenig Vitamin D im Körper?

Der wichtigste Grund ist die Tatsache, dass in Deutschland ein halbes Jahr lang keine nennenswerte UVB-Strahlung zu uns gelangt. Zwischen September und März kommt daher auch keine Vitamin- D-Bildung auf natürlichem Wege zustande. Diese geographische Situation ist seit Jahrhunderten unverändert. Der Vitamin-D-Mangel ist in den letzten Jahrzehnten jedoch zum Massenphänomen geworden, weil sich die Freizeit von draußen nach drinnen verlagert hat. Während Kinder vor 50 Jahren noch 6 Stunden täglich draußen waren, sind es heute nur noch 6 Minuten. Kaum ein Beruf wird heute noch unter freiem Himmel ausgeübt. Viele, denen die regelmäßige Sonnenstrahlung fehlt, können nach einigen Jahren ohne Sonne keine Strahlung mehr vertragen. Diese Sonnen-Allergiker können aus eigener Kraft dem Teufelskreis aus Allergie und Vitamin-D- Mangel nicht mehr entrinnen. Wegen der überzogenen gesetzlichen Regulierungen gibt es bei uns keine funktionierende Selbstversorgung über angereicherte Lebensmittel wie in anderen europäischen Ländern.

Was ist Vitamin D eigentlich für ein Stoff und wo wirkt diese Substanz?

Der ungewöhnliche Bauplan des Vitamin D beweist, dass es zur Familie der Hormone gehört. Daher ist Vitamin D mit den gut bekannten Stoffen Östrogen, Testosteron und Cortison biochemisch verwandt. Diese Familie nennt man Steroidhormone. Diese Hormone sind es, die mit einem Schlüssel-Schloss-System den Zugriff auf die Gene steuern. So wird signalisiert, welches Gen abgelesen wird und welches nicht. Jede Körperzelle hat in ihrem Zellkern spezielle Empfangsstellen, die hormonelle Botschaften entgegennehmen: die Hormon-Rezeptoren. Die Steroidhormone darf man daher als die Generäle der Biochemie bezeichnen. Jede Zelle von Kopf bis Fuß hört auf diese Kommandos. Sogar die meisten Krebszellen haben derartige Rezeptoren. Die Frage nach den Auswirkungen kann man daher umkehren: „Gibt es überhaupt eine Körperzelle, die nicht vom Vitamin D beeinflusst wird?“

Weshalb ist Vitamin D für das Immunsystem so wichtig?

Das Immunsystem soll einerseits Eindringlinge abwehren und andererseits die eigenen Zellen in Ruhe arbeiten lassen. Die Gratwanderung zwischen Abwehrschwäche und Allergie muss perfekt reguliert sein. Es ist bekannt, dass Cortison bei dieser kniffligen Aufgabe mitarbeitet. Eine vermutlich viel größere Rolle hat jedoch die Schwestersubstanz Vitamin D. Fehlt Vitamin D, so wird das Immunsystem nicht genügend gebremst. Es resultieren schädliche Konflikte von der Pollen-Allergie bis hin zur Multiplen Sklerose.

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Wie genau wird Vitamin D bei Sonnenschein in der Haut gebildet?

Aus dem Grundstoff aller Steroidhormone, dem Cholesterin wird in der Haut die Vorstufe des Vitamin D gebildet. Durch die UVB-Strahlen der Sonne wird ein spezieller Ring dieses Moleküls aufgebrochen. Dieser Schritt begründet die Abhängigkeit des Menschen von der Sonne. Die hormonell  aktive Form des Vitamin D entsteht erst später. In zwei Schritten erfolgt hierzu die biochemische Aktivierung in der Leber und in der Niere. Diese fein regulierten Schritte der Aktivierung sind es auch, die eine Schädlichkeit des Vitamin D3 verhindern, auch wenn es in großer Menge zugeführt wird. In der Verkaufsform Vitamin D3 ist dieser Stoff biochemisch inaktiv.

Funktioniert dieser Mechanismus auch, wenn die Sonne durchs Fenster scheint, der Himmel bewölkt ist oder wenn Sonnencreme aufgetragen wurde?

Alle genannten Hindernisse blockieren vollständig den natürlichen Ablauf der Vitamin-D-Synthese. Nur das ungehindert einfallende UVB-Licht kann die Vitamin-D-Synthese in der Haut bewirken. Leider gibt es das notwendige UVB-Licht praktisch nur in der Mittagszeit, wenn der Himmel „Blau“ ist und die Strahlung ungefiltert auf die Haut fällt. Die Zeit am Vor- und Nachmittag, sowie schattige Plätze in der Mittagszeit bieten nur gestreutes UVA-Licht,
das nichts zur Vitamin-D-Erzeugung beiträgt. Das wichtige UVB-Licht wird wegen seiner physikalischen Eigenschaften nicht reflektiert. Fazit: alles was sich zwischen den “blauen Himmel und die blanke Haut” schiebt, verhindert Vitamin D: Wolken, Schatten, Fensterglas, Kleidung, Sonnencreme.

Soll ich jetzt Vitamin D einnehmen?

Wir sollten den Sonnenschein genießen, Sonnencreme meiden und im Winter Vitamin D einnehmen. Wir sind es unserm Körper schuldig, dass der naturgegebene hormonelle Vitamin-D-Schutz sich entfalten kann. Es ist sinnvoll in den Jahreszeiten ohne sonnige Mittagspause schon vorsorglich Vitamin D einzunehmen. Bei der Frage nach der Dosis kann man sich daran orientieren, dass ein Sonnenbad in der Mittagszeit bei jungen blonden Menschen schon nach 20 Minuten 20000 Einheiten Vitamin D erzeugen kann. Um eine optimale Zufuhr zu erlangen, sind zwei Sonnenbäder pro Woche nötig. Der Bedarf ist allerdings höher, wenn man eine dickere Fettschicht hat oder wenn Zigarettenrauchen das wertvolle Vitamin D beschleunigt abbaut. Die Begleitung durch Ärzte mit Vitamin-D-Fachkunde ist hilfreich, um im Winter und Frühjahr an richtig dosierte Vitamin-D-Präparate zu kommen, denn diese unterliegen leider der Rezeptpflicht.